Interview mit Matthias Bänninger / Samstag 13. Oktober 2018

Loading

Interview mit Matthias Bänninger
Betreiber der Internetseite Psychiatrie Erfahrene Schweiz:
https://www.psychiatrie-erfahrene-schweiz.org

 

Wiederum ist ein Jahr vergangen, als ich das letzte Interview mit dir geführt habe. Was hat sich in diesem Jahr getan resp. Verändert?

Im Mai 2018 wollte ich nach einem längeren Aufenthalt ausserhalb des Wohnheims Lättacker meine Sachen einfach packen und aus­reissen. Da ich diesen Wunsch schon mehr­mals hatte und dieser einfach meinem «Krankheitsbild» zugeordnet wurde, war ich der Meinung, diesbezüg­lich nicht mehr mit der Heimleitung in Kontakt zu treten. Als ich so am Zusammenpacken war, ging mir durch den Kopf, das Ausreissen wieder als «Krise» gewertet werden könnte und ich auf den Sta­tionen 47 oder 46 des Psychiatrie Zentrums Münsingen landen könnte und da wollte ich keinesfalls mehr hin.

Also telefonierte ich direkt der Heimleitung. Das folgende Gespräch war sehr offen und ehrlich. Man liess mich wissen, dass auch die Heimleitung demnächst auf mich zugekommen wäre um einen allfälligen Austritt in eine eigene Wohnung mit mir zu besprechen, was selbstverständlich ganz in meinem Sinne war. Diesbezüglich bin ich sehr froh, dass ich für einen Moment Inne gehalten hatte und mei­nen Verstand habe walten lassen und nicht Hals über Kopf getürmt bin und mich damit abermals in einen Schlamassel geritten habe, welcher dann vielleicht eine Suchaktion der Polizei ausgelöst hätte.

Die Heimleitung und auch die «Betreuer» wa­ren bezüglich Wohnungssuche sehr kooperativ und hilfsbereit.

Heute lebe ich in einer wunderbaren Wohnung mit sehr hilfsbereiten und angenehmen Nachbarn und organisiere mir mein Leben weitgehendst wieder selbst.

Wie lange hast Du in Institutionen gelebt?

Ich habe alles in allem fast 11 Jahre in psychiatrischen Institutionen des Kantons Bern verbracht, geschlossene Abteilungen in Psychiatrischen Kliniken mit eingerechnet, unter anderem in den Uni­versitären Psychiatrischen Diensten Bern (UPD-Waldau) und im Psychia­trie Zentrum Münsingen (PZM).

Was war der «Auslöser» oder besser gesagt «einer der Auslöser», warum und weshalb du in die «Mühlen der Psychiatrie» geraten bist?

Einer der Auslöser war, dass ich in den Jahren 2008 / 2009 der Meinung war, dass wegen der Fi­nanzkrise, eine riesige Welle der Stellen­streichungen und die damit einhergehende Ar­beitslosigkeit auf die Schweiz zurollen würde, dem Staat irgendeinmal das Geld ausge­hen könnte oder das Geld in­flationsbedingt keinen Wert mehr haben würde und auf höchster politischer Ebene, EU-Weit, wegen des ganzen Jammers ein Massenvernich­tungsprogramm lanciert werden könnte, um Stellensuchende, Ausgesteuerte und Invalide Menschen so los zu werden, damit diese keinen Aufstand machen können, davon war ich zu mehr als 100% überzeugt.

Da ich mich ins Thema Eugenik und Euthanasie im 3. Reich gut eingelesen hatte, beob­achtete ich sehr genau was während der Finanzkrise 2008 / 2009 in den psychiatrischen Kliniken so vor sich ging, welche «Diagnosen» meinen Mitpatienten gestellt wurden, und auch welche Medikamente man ihnen ver­schrieb oder unter Zwang verabreichte.

Auch zu jener Zeit 2008 / 2009 kam das ganze Thema der «Verdingkinder» in der schweizeri­schen Politik endlich aufs Tapet. Jahrzehnte lang hat man geschwiegen und krampfhaft versucht alles unter den Teppich zu kehren. In so einer Gesellschaft, die diesbezüglich ein­fach alles versucht hat unter den Teppich zu kehren und / oder zu vertuschen, so dachte ich, ist jeder Zeit auch ein «Holocaust» der «so­zial Schwächeren» möglich. Dazu kam, dass die Schweiz in diesen Jahren 2008 / 2009 die UN-Behindertenrechtskonvention noch nicht signiert und ratifiziert hatte.

Von diesem Standpunkt aus betrachtet war die Psychiatrie zu jener Zeit, in den Jahren 2008 / 2009 also der komplett falsche An­sprechpartner für mein Problem, fusst doch meine mir gestellte Diagnose der Psychiatrie resp. der Psychiater und auch anderer «Mit­patienten» auf den Erfin­dern dieser Diagnose, Eugen Bleuler und August Forell. Beide waren Eugeniker und unbestreitbare Lehrer der Ras­senhygiene welche im 3. Reich ihre Vollen­dung fand. Meine Situation war komplett ver­fahren und paradox.

Irgendwann in diesen Jahren 2008 / 2009 hatte ich die Nase gestrichen voll von diesem Blödsinn Psychiatrie und so kam es, dass ich mir ein Land aussuchte, in welchem ich ers­tens mit meiner nackten IV-Rente noch leben kann (ohne Ergänzungsleistungen) und zwei­tens ein Land, dass kei­ne Psychiatrie kennt. Relativ zügig meldete ich mich in der Schweiz ab und reiste in dieses Land ausserhalb der Europäischen Union.

Wie war es in diesem Land für Dich zu leben?

Nun, in der Not frisst der Teufel Fliegen wie der Volksmund hier zu Lande pflegt zu sagen. Rückblickend kam ich vom Regen in die Trau­fe. Mir war wichtig, mich in ein Land abzusetzen, welches die UN-Behindertenrechtskon­vention (UN-BRK) signiert und auch ratifiziert hatte.

Was ich vorfand, war aber alles andere als ein Land wo man sich auf die Menschenrech­te oder gar auf eine UN-Behindertenrechts­konvention berufen kann resp. konnte.

Dieses Land war schon damals bekannt da­für, CIA-Foltergefängnisse zu beherbergen. Aus aller Welt hat die CIA (Centeral Intelli­gence Agency) Terrorverdächtige in dieses Land eingeflogen und unter Folter verhört. Menschen, die dem Regime dieses Landes selbst nicht in den Kram passten, (investigati­ve Journalisten, Homosexuelle, Bürgerrechtler und Menschenrechtler aller Art) verschwan­den einfach spurlos und auf nimmer wieder­sehen oder wurden über die «Justiz» dieses Landes zum Tode verurteilt oder wenn sie in den Medien bekannt waren oder gar Promi­nent, ver­urteilt zu lebenslangen Haftstraffen und in ein «Loch» weggesperrt, vor allem Jene, die sich für Menschenrechte einsetzten, sei es für sich selbst oder für andere. Ich ver­brachte neun Monate in diesem Land. Ir­gendwann einmal beobachtete ich, dass die Menschen noch viel mehr ignorierten oder gar zu vertuschen versuchten als es hier in der Schweiz der Fall ist und war. Dazu kam, dass ich an einem Strand irgendwo am Meer dieses Landes ein Gespräch mit einem ein­heimischen jungen Mann hatte. Wir haben uns in englischer Sprache unterhalten. Im Verlaufe dieses Gesprächs kamen wir auf Is­rael zu sprechen, wahrscheinlich war es we­gen der relativ vielen israelischen Touristen, die sein Land das ganze Jahr über besuch­ten. Nach einer Weile kamen wir auch auf die Geschichte seines Landes zu sprechen. Plötz­lich meinte er, er fände es gut das es «Hitler» und den Holocaust gegeben habe. Blitzartig verabschiedete ich mich unter irgend ei­nem Vorwand aus diesem Gespräch und verliess den Ort an welchem wir uns ge­troffen hatten auf schnellstem Wege. Nicht das erste Mal sind mir Menschen begegnet, die den Holocaust gut fan­den und befürwor­teten oder umgekehrt, die­sen gar leugneten.

Definitiv war ich im falschen Land (ab-)ge­landet. Ein paar Monate später, als ich längst abge­reist war, kam der «Arabische Frühling». Wie es um die Menschenrechte in all diesen Ländern so bestellt ist und war, haben wir ja dann alle in den Medien zur Genüge mitbe­kommen. Ich kann dazu einfach nur sagen, haarsträubend.

Aber für mich war das ei­gentlich schon da­mals nichts Neues. Ich habe, wie Du meinem Facebook-Profil ent­nehmen kannst, ja nicht nur dieses eine Land besucht in meinem ganzen bisherigen Leben, sondern auch An­dere. Die vielen gescannten Seiten meiner abgelaufenen Pässe in meinem Facebook-Profil geben darüber Aus­kunft.

Und, wie ist es bestellt um die Menschen­rechte in anderen Ländern?

Nun, es ist, würde ich über den Daumen gepeilt sagen, etwa überall gleich schlecht um sie be­stellt. In vielen Ländern der Südli­chen-Hemisphäre kommt zu den ohnehin schon überfüllten Ge­fängnissen, die physi­sche und psychische Folter, sei es seitens des Gefängnispersonals oder der Mitgefangenen, noch dazu.

In den hiesigen Justiz Vollzugsanstalten bleibt man viel zu lange in Untersuchungshaft (nicht sel­ten 3 oder gar 4 Jahre) und wird psychisch kaputt gemacht durch Disziplinar­straffen wie Einzel­haft oder über die Forensik, die dann mit Isolationszellen operiert, also auch Einzelhaft, über Wo­chen manchmal so­gar Monate hinweg.

Im Land der unbegrenzten (heute eher be­grenzten oder beschränkten) Möglichkeiten, den USA, welches die grösste Gefängnisin­dustrie Weltweit betreibt, werden Gefangene, die wegen Bagatellen Delikten zu einem Frei­heitsentzug verurteilt wurden, meist umge­bracht durch Mitgefangene einer gegneri­schen Gang, oder durch zu lebenslanger Haft Verurteilter, denen alles scheissegal zu sein scheint (sie haben ja eh nichts mehr zu ver­lieren).

Es ist weltweit eine absolute Schweinerei wie es um die Menschenrechte bestellt ist. Obendrein ist es nur noch zynisch und mir uner­klärlich, wer in diesen UNO-Menschenrechtsrat bestellt wird oder worden ist. Menschen aus Ländern in denen man mit Menschen wie mit Tieren umgeht. Einfach nur zum kot­zen.

Ende, Teil 1 des Interviews

Gestern kamen wir auf die Menschenrechte zu sprechen, wie Du die Situation in anderen Län­dern erlebt hast, wie erlebst Du die Situa­tion hier, bei uns in Europa und in der Schweiz.

Wir leben heute in einer Total individualisier­ten Gesellschaft. Die egoistischen Interessen ein paar Weniger, gerade und vor allem im Wirtschaftsleben, werden über diejenigen al­ler Anderen ge­stellt. Die Grossfamilie wo acht oder neun Kinder aufwuchsen gibt es schon seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr in Eu­ropa, dem Pillenknick und anderer Verhü­tungsformen sei Dank. Anstelle der Grossfa­milien, sind Kleinfamilien getreten. In Grossfa­milien, wo vor Jahrzehnten das Nachtragen von Schuhen oder Kleidern der jüngeren Ge­schwister von derer Älteren noch Gang und Gäbe war, kauft man heute einfach alles neu in unseren überfüllten Supermärkten. Ein Ver­zicht oder gar ein Teilen unter Geschwistern und damit die Lehre, dass es einer Gruppe insgesamt gut gehen kann oder gar besser gehen kann, wenn Jeder seine egoistischen Interessen nur ein kleines Koma im Zaume hält, findet schon seit Jahrzehnten nicht mehr statt in den Familien.

Nein, das pure Gegenteil ist der Fall. Überall und immer, zu jeder sich bietenden Tages- und Nachtzeit, muss alles zur freien Verfü­gung stehen. Konsumieren um des Konsums Willen. Auch ich muss ab und an diese Kon­sumtempel aufsuchen um mich mit Lebens­mittel einzudecken. Immer öfter begegne ich Familien derer Kleinkinder an der Kasse völlig in Tränen aufgelöst sind, weil ihnen Mami oder Papi diesen oder jenen Wunsch nicht erfüllt hat oder erfüllen will. Später im Leben sind es nicht mehr die Süssigkeiten an der Kasse, die diesen Heranwachsenden Mühe zum Ver­zicht bereiten, sondern das neue über tausend Franken teure Smartphone, welches sie sich momentan nicht leisten können oder irgend- ein SUV der unbedingt geleast werden muss, nur weil der Nachbar einen gekauft hat.

Was ich mit all dem eigentlich sagen will, Menschenrechte funktionieren niemals, wenn man die eigenen Interessen über diejenigen aller Anderen stellt. Die eigenen Interessen zurückstellen zum Wohle Anderer (einer Ge­sellschaft oder einer Gruppe, in der man sich gerade aufhält) wäre eigentlich angesagt. Denn, wenn es dem Anderen gut geht, weil ich auf etwas verzichte oder etwas teile, dann kann es auch mir gut gehen oder gar besser gehen. Das wäre eigentlich die Er­kenntnis daraus.

Aber von dieser Erkenntnis sind wir in Europa, aber auch hier in der Schweiz, weit entfernt. Teilen kommt nicht in Frage. Ich zuerst und dann alle anderen, sei es im Strassenverkehr, im Sport, im Familienleben oder auf der Ar­beit im KMU oder in der Berufsbildung oder an den Universitäten in den Studiengängen, ist eigentlich Wurst wo, überall beobachte ich dieselben Strukturen. Ein gnadenloser, schon fast frech anmutender Konkurrenzkampf und der daraus resultierende Egoismus macht sich schon seit geraumer Zeit überall breit.

Übel wird es dann wirklich, wenn man diesen Menschen zuhört über ihr Leben zu berichten, jeder Satz oder jeder zweite Satz fängt mit «Ich» an. Ich habe, ich tue, ich mache, ich würde ich, ich, ich, ich, ich… einfach zum Ab­winken.

Wir werden das 21. Jahrhundert nicht überle­ben, wenn Jeder und Jede nur an seine eigenen individuellen Bedürfnisse denkt und diese über diejenigen aller Anderen stellt.

Stell Dir vor die 1.6 Milliarden Chinesen wollten Alle Auto fahren und die 1.3 Milliarden Inder noch dazu und einen solchen ökologischen Fingerabdruck hinterlassen wie wir hier in Eu­ropa und in Nordamerika. Im Nu wären alle Rohstoffe aufgebraucht und die Klimaerwär­mungsdebatte würde auf einem ganz ande­ren Niveau stattfinden. Eine Milliarde sind 1000end Millionen. Ich versuche am Schluss dieses Interviews mal eine Milliarde zu zeich­nen. Weisst Du Thomas, ich weiss haar­genau, warum und weshalb die 1.6 Milliarden Chine­sen immer noch im Kommunismus leben. Stell Dir die Welt vor, wie sie aussehen würde, wenn es nicht so wäre. Wir könnten uns die Menschenrechte alle ans Bein streichen.

Tja, im Kleinen fängt alles an, an der Kasse im Konsumtempel, als Du 3 oder 4 Jahre alt warst!!!

Ende Teil 2 des Interviews und Schluss.

Interviewer: Thomas Spöri
Interviewter: Matthias Bänninger

Datum / Uhrzeit: 14.10.2018 / 14.20 Uhr

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.