Seit es die EMRK gibt widerspricht sich diese in sich selbst der Menschenrechte man lese z.B. untenstehend auf Seite 6, Artikel 5 und dann Abs. e) der EMRK (==> gelb markiert). Ist man also von einem Psychiater zum Geistes- oder psychisch Kranken erklärt worden, kann einem jederzeit aus fadenscheinigen Gründen die Freiheit entzogen werden s. Fürsorgerische Unterbringung.
In der Theorie scheint es einfach: Wer sich selbst oder andere aufgrund einer psychischen Krise gefährdet, kann gegen seinen Willen in die Psychiatrie eingewiesen werden. Was auf den ersten Blick plausibel erscheint, entpuppt sich jedoch bei näherer Betrachtung als äusserst problematisch.
Grauzonen der Gesetzgebung:
Ist der obdachlose Mann mit Schizophrenie, der eine offene Wunde unbehandelt lässt, eine Gefahr für sich selbst? Gefährdet die manische Nachbarin, die immer wieder vergisst, das Wasser abzustellen, ihre Mitbewohner? Die Gesetze definieren selten eindeutig, wann genau ein Verhalten als selbst- oder fremdgefährdend gilt. Daraus ergibt sich ein erheblicher Ermessensspielraum für Polizei, Ärzte und Pflegekräfte, was zu willkürlichen Entscheidungen führen kann. Während manche psychiatrische Einrichtungen Fixierungen nur in Ausnahmefällen anwenden, sind sie in anderen fester Bestandteil des Alltags.
Menschenrechtsverletzungen durch Zwangspsychiatrie:
In vielen Ländern werden Zwangseinweisungen und -behandlungen zunehmend hinterfragt und eingeschränkt. Umso erstaunlicher ist der Vorstoss des Europarats: Ein 2021 vorgelegter Entwurf zum Oviedo-Übereinkommen, das eigentlich Schutz vor medizinischem Missbrauch gewähren soll, stärkt Zwangsmassnahmen erneut. Die Kritik von UN und Menschenrechtsorganisationen folgte prompt.
Zwang und Gewalt haben in der Geschichte der Psychiatrie eine lange Tradition. Die Einteilung von Menschen in «gesund» und «krank» diente nicht nur medizinischen Zwecken, sondern legitimierte auch staatliche Eingriffe in das Leben von Bürgern. In der NS-Zeit gipfelte dies in der Ermordung von etwa 216.000 Menschen mit psychischen oder körperlichen Behinderungen. Doch auch in anderen Ländern kam es bis in die 1980er-Jahre zu fragwürdigen Praktiken wie Elektroschocks und Lobotomien. Erst seit den 1960er-Jahren werden Zwang und Gewalt in der Psychiatrie zunehmend kritisch hinterfragt.
Die UN warnt seit Jahren vor Menschenrechtsverletzungen in medizinischen Einrichtungen. Die 2008 in Kraft getretene UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) betont das Recht auf Selbstbestimmung und stellt klar, dass Menschen nicht aufgrund einer Behinderung gegen ihren Willen behandelt oder ihrer Freiheit beraubt werden dürfen. Zwangsmassnahmen sind demnach nur als letztes Mittel zulässig, wenn alle anderen Optionen ausgeschöpft wurden (Artikel 14). Zudem fordert die Konvention, bestehende Gesetze zu überprüfen, um Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen zu vermeiden (Artikel 12).
Alternativen zur Zwangspsychiatrie:
Doch wie kann psychisch erkrankten Menschen, die eine Einwilligung zur Behandlung verweigern, dennoch geholfen werden? Das Recht auf Gesundheitsversorgung bleibt bestehen, auch wenn das Gesundheitssystem zunehmend unter wirtschaftlichem Druck steht. Studien, darunter ein 2018 von der University of Melbourne im Auftrag der UN durchgeführter Bericht, zeigen, dass viele Zwangsmassnahmen keinen oder nur geringen therapeutischen Nutzen haben. Eine deutsche Untersuchung zur Zwangsunterbringung Suizidgefährdeter bestätigte dies ebenfalls.
Ein vielversprechender Ansatz wurde in einem Modellprojekt am San Giovanni Spital in Triest erprobt. Hier wurde auf Zwangsmassnahmen verzichtet und stattdessen ein System der freiwilligen, langfristigen Unterstützung aufgebaut. Auch sogenannte Weglaufhäuser bieten seit den 1980er-Jahren Schutz für Menschen in akuten psychischen Krisen, ohne dass sie sich sofort einem starren medizinischen System unterwerfen müssen. Gerade für psychotisch erkrankte Menschen ist ein stabiles Unterstützungsnetz entscheidend, um Zwang und Gewalt zu vermeiden.
Rückschritt in Europa:
Dank zivilgesellschaftlichem Engagement und Menschenrechtsorganisationen gibt es weltweit Fortschritte im Umgang mit psychisch erkrankten Menschen. 182 Staaten haben inzwischen die UN-BRK ratifiziert, und die Rechte von Menschen mit Behinderungen sind in den nachhaltigen Entwicklungszielen der UN verankert. Dennoch zeigt der Entwurf des Europarats, dass das alte System der Zwangspsychiatrie noch lange nicht überwunden ist. Das Zusatzprotokoll zum Oviedo-Übereinkommen würde es den Mitgliedstaaten weiterhin erlauben, Menschen gegen ihren Willen unterzubringen und zu behandeln.
Am 28. Mai 2021 forderten der UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen und weitere Menschenrechtsexperten den Europarat auf, den Entwurf zurückzunehmen. Sie kritisierten, dass das Papier den Prinzipien der Menschenrechte widerspreche. Menschen mit psychosozialen Behinderungen hätten das Recht, selbst über ihre medizinische Behandlung zu entscheiden. Zudem würden Zwangsmassnahmen oft als schmerzhaft und traumatisierend empfunden und könnten bestehende psychische Erkrankungen verschlimmern.
Der Protest hatte zumindest einen Teilerfolg: Die Abstimmung wurde auf November 2021 verschoben. Doch die eigentliche Frage bleibt: Ist eine Abkehr von der Zwangspsychiatrie überhaupt umsetzbar? Alternativen, die auf langfristige Unterstützung statt akuter Krisenintervention setzen, sind oft teurer und erfordern ein Umdenken in der Gesundheitspolitik. Nötig ist ein System, das nicht die Kostenminimierung, sondern das Wohl jedes Einzelnen in den Mittelpunkt stellt.
Wer allerdings meint, sich «freiwillig» in eine psych. Klinik einweisen lassen zu müssen, um diese dann allenfalls auch wieder auf schnellstem Wege verlassen zu können, kann sich gewaltig irren. Ein Psychiater kann jederzeit einen sog. «Rückbehaltungsentscheid» ausstellen und dazu noch einen Fürsorgerischen Unterbringungsentscheid anordnen, womit es dann devinitiv vorbei wäre mit der «Freiwilligkeit» in der psych. Klinik.